Was bedeutet „sich durchsetzen“ am Pferd – Teil 2

Im ersten Artikel über das „Durchsetzen“ habe ich meine persönlichen Erfahrungen beschrieben, und was Durchsetzen meines Erachtens nicht sein kann. Und ich habe über mein Mindset zu diesem Thema geschrieben. Doch wie es nun wirklich in der Praxis funktioniert, wenn man sich jetzt doch nun gar nicht wirklich „durchsetzen“ soll bzw. möchte, blieb offen. Darum ist es mir ein Bedürfnis, in diesem Artikel ein bisschen mehr Licht ins Dunkel zu bringen.

Okay. Also – wenn ich mich nun gar nicht wirklich durchsetzen möchte, wie soll dann die Arbeit mit dem Pferd überhaupt funktionieren? Denn wenn es nach dem Pferd ginge, dann würde es mit Sicherheit bevorzugen, 24 h auf der Weide zu stehen oder zumindest bei seinen Artgenossen zu bleiben. Oder? Wobei – wenn ich an meine Pferde denke, dann stehen sie ziemlich oft am Tor und wollen zur Arbeit abgeholt werden, diese kleinen Streber 😊

Ich glaube, das Ganze Thema mit dem „Durchsetzen“ ist um ein Vielfaches komplexer als bloß Gewalt anzuwenden, damit das Pferd macht, was ich sage. Es beginnt mit der Beziehung und dem Vertrauen. Ist mein Pferd gern in meiner Nähe? Kann es sich dort wirklich (und ich meine so richtig, zutiefst) entspannen? Sehr viele Pferde sind um Menschen herum ein bisschen angespannt oder „shut-down“, also innerlich heruntergefahren und im Autopiloten, irgendwie stummgeschaltet, damit es bald vorbeigeht, und mental nicht wirklich hier. Beides hängt natürlich mit ihren Erfahrungen im Zusammenhang mit Menschen zusammen. Voraussetzung dafür, dass mein Pferd sich bei mir wohlfühlt und mir vertraut, ist aber nicht, dass ich es immer lieb bürste, kraule und füttere, sondern dass es weiß, dass es bei mir sicher ist, dass ich seine Sprache verstehe, und dass ich seine Bedürfnisse achte und wenn möglich erfülle. Dass ich ein guter Anführer bin.

Klar, dazu müssen wir uns schon ein bisschen kennen. Steht ein ganz neues Pferd vor mir, dann habe ich noch keine Beziehung mit ihm. Ein neuer Kollege (bzw. Chef) muss auch erst kennengelernt werden, um einzuschätzen: Ist er kompetent? Was sind seine Stärken? Wobei kann ich mich auf ihn verlassen, wo könnte es Schwierigkeiten geben? Pferde checken uns ebenso ab, denn das ist ihr Instinkt und sichert ihr Überleben. Stuft das Pferd mich nicht als souverän und kompetent ein, tja dann – seufz – muss es diesen verantwortungsvollen, anspruchsvollen Job eben selber machen. Und das an sich kann aus Sicht des Pferdes stressig sein, wenn es ständig auf uns aufpassen muss, und dazu noch zu jeder Menge Missverständnissen führen, wenn der Mensch dann doch plötzlich den Ton angeben will. Klar, dass das Pferd dann sagt: Nein, das geht doch nicht! Wir sterben hier alle, wenn ich mich auf dich verlassen muss!

Mal anders gesprochen – wärst du gern Beifahrer in einem Auto, das von einem Schulkind von vielleicht 10 Jahren gesteuert wird, das zu dir sagt: „Los – steig ein, ich fahre!“ Absurd, oder? Ich denke, so ähnlich könnte sich ein Pferd fühlen, das seinen Menschen nicht für kompetent hält. Und nun stell dir vor, das Schulkind in unserem Bild fängt an, dich anzuschreien und mit der Longierpeitsche herumzufuchteln, damit du endlich ins Auto steigst, weil es jetzt doch losfahren will… ein echt verrücktes Bild, oder? Wie wäre deine Reaktion?

Das zum Thema Beziehung. Ohne kompetente Führungspersönlichkeit – dich – geht gar nichts. Und kein „Durchsetzen“ der Welt wird dich andernfalls weiterbringen.

Hab einen Plan

Abgesehen von einer guten Beziehung zum Pferd als Basis für alles musst du einen Plan haben, ein starkes inneres Bild dessen, was das Pferd tun wird – nicht soll, sondern wird. Denn wenn du nicht mal zu 100% weißt, was passiert und was das Pferd gerade für eine Aufgabe hat, wie soll das Pferd es dann wissen?
Und dann musst du diese Aufgabe auch dem Pferd gegenüber vertreten. Ohne Ausnahme. Nein, auch nicht heute, weil dein Pferd Geburtstag hat oder weil du gerade müde bist. Wenn du sagst links, dann geht es nach links. Wenn du sagst rechts herum, dann geht es rechts herum. Nicht „nagut, dann halt so herum“.

Eine Ausnahme hierbei ist, wenn wir das Pferd kleinschrittig an eine neue Aufgabe heranführen. Da kann es natürlich sein, dass Fehler passieren, und ich darf nicht alles auf einmal verlangen, gerade bei einem jungen oder unerfahrenen Pferd. Sind wir zum Beispiel noch ganz am Anfang beim Longieren oder im Round Pen und mein Fokus liegt gerade auf „links herum“ und „rechts herum“, dann bin ich dem Pferd nicht böse, wenn ich heute noch nicht seine Gangarten perfekt steuern kann. Wenn ich das Pferd wiederum auffordere, mir mehr Energie zu geben im Vorwärts, dann freue ich mich darüber, auch wenn es vielleicht etwas viel ist und es angaloppiert statt nur zu traben. Das kann passieren bei jungen Pferden, oder auch wenn ich trainiere, um ein träges Pferd munter zu machen. Aber was für ein toller Erfolg wäre das, wenn es auf die Frage nach mehr Energie galoppiert?! Mit irgendetwas müssen wir anfangen, und ein Schritt zur selben Zeit ist erstmal genug. Feintuning kommt dann, wenn die Aufgabe verstanden wurde.

Ist mein Pferd jedoch ein alter Hase, hat seine Aufgabe sicher verstanden, kann Richtung und Gangart und möchte sich jetzt auf seine „gute“ Hand mogeln, weil ihm die andere Seite zu anstrengend ist, oder will es an der Longe gern losrasen, während ich es zum Schritt auffordere, dann lasse ich mich nicht von meinem Plan abbringen. Will es hingegen nicht mehr angaloppieren am Ende der Longeneinheit? Womöglich ist es jetzt wirklich müde und hat keine Kraft mehr. Ich mache dann meistens ein „na los, noch einmal und dann ist es gut für heute“, freue mich über ein, zwei Galoppsprünge, und pariere dann aber sofort wieder durch. So lasse ich die Trainingseinheit mit einem gehorsamen Reagieren enden, statt mit einem Ignorieren meiner Anfrage. Bei einem sehr alten oder nicht mehr ganz gesunden Pferd, das ich gut kenne, erlaube ich hingegen, dass es von selbst die Gangart wechselt, jedenfalls nach unten. Das ist völlig okay, denke ich.

Das Einschätzen: wann ist ein Abweichen okay, wenn ja, um wieviel, oder ist es gar nicht okay, und dann mein Programm zu vertreten, das ist der springende Punkt. Dazu muss ich mir genau überlegen: Was kann das Pferd schon, was kann es körperlich und mental leisten, wie ist unser Verhältnis, wie ist sein Charakter, und was will ich gerade genau erreichen? Was ist mir am wichtigsten, was genau ist gerade in dieser Sekunde mein Ziel?

Set up for Success

Im Training und im Umgang mit Pferden stellen wir stets alle Weichen auf Erfolg – unser ganzes Setup muss so sein, dass ein Erfolg sehr wahrscheinlich ist, und dass ein Misserfolg sehr unwahrscheinlich wird. Umso öfter können wir in den Augen unseres Pferdes mit Kompetenz glänzen und geben ihm und uns ein gutes Gefühl. Wenn wir konsequent so arbeiten, wird es überflüssig, ja, sinnlos, das Pferd durch Druck machen zu etwas zu bringen.

Was meine ich nun aber mit „Setup“? Eigentlich ist das nichts anderes als alle meine Rahmenbedingungen zum Training. Je nachdem, worum es geht, was wir mit dem Pferd machen möchten, und was es schon kann, kann das Setup und worauf ich dabei achten muss, sehr unterschiedlich ausfallen. Ich muss in der Ausbildung z.B. sicherstellen, dass die Umgebung geeignet ist, dass meine Werkzeuge und meine Hilfen geeignet sind, und dass mein Pferd bereits weiß bzw. sehr schnell herausfinden wird, was ich von ihm möchte.

Einfaches Beispiel: Führen üben. Viele, viele Pferde lassen sich nicht gut führen. Sie achten kaum auf den Menschen, drängeln, stürmen oder schlendern am straff gespannten Seil lustlos hinterher und lassen sich ziehen. Vielleicht liegt das daran, dass dem Führen in der Ausbildung so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, und dass das Pferd das „so nebenbei“ schon lernen wird. Junge Pferde müssen es aber erst richtig lernen, und das ist gar nicht so einfach für sie. Möchte ich nun mit einem Pferd das Führen üben, brauche ich dafür so einiges an Setup: zum Beispiel muss das Pferd schon wissen, wie man entspannt ein Halfter trägt. Für ein junges, komplett rohes Pferd mitunter eine große, furchteinflößende Aufgabe. Das Pferd muss auch bereits wissen, dass es auf Druck nachgeben soll. Auch diese Lektion muss ein Pferd erst lernen, da sie rein instinktiv gegen Druck angehen, denn das ist in der Natur lebenswichtig. Wenn ein Puma an ihrem Bein zieht, dann geben sie nicht nach, sondern versuchen mit aller Kraft, sich zu befreien. Wenn der Puma oder ein Halfter nun am Genick zieht, dann erst recht…

Diese Lernschritte müssen also bereits getan und gut verankert sein, wenn ich Erfolg haben will.

Von der Umgebung her muss ich ebenfalls einiges beachten – wo übe ich denn Führen? Sicher nicht an der Landstraße =) nein, es ist wie beim Hundetraining – zuerst suche ich mir einen ruhigen Ort zum Wohlfühlen, der sicher ist. Mit dem Hund zu Hause, in möglichst ablenkungsfreier Umgebung. Mit dem Pferd halte ich es ebenso, denn es hilft mir nicht, wenn die Kumpels gerade nebenan auf der Koppel umhertoben, während ich die ersten Gehversuche beim Führen mache. Klar, vielleicht geht es von der Location her nicht anders – dann muss ich da durch. Aber wenn ich es mir aussuchen kann, dann fange ich ein bisschen leichter an, und steigere mich dann. Auch das ist wie mit dem Hund: Irgendwann muss ich auch unter Ablenkung üben, und das Gelernte sichern, damit es auch in Stresssituationen klappt. Das geht aber erst, wenn es unter Anfänger-Bedingungen gut funktioniert, vorher brauche ich es nicht versuchen, denn sonst werde ich damit in jedem Fall scheitern und das Pferd eine negative Lernerfahrung machen.

Das Pferd sollte außerdem nicht nur die mentalen, sondern auch die physischen Werkzeuge kennen: mein Seil, das Halfter, und meinen Bodenarbeitsstick bzw meine Arbeits-Flagge, und es sollte daran gewöhnt sein, von diesen Gegenständen entspannt berührt werden zu können, ohne in Panik oder auch nur Anspannung zu geraten. Und das Pferd muss die Signale, die ich ihm mit meinen Werkzeugen gebe, bereits kennen (oder die Bedeutung ganz leicht herausfinden können, je nachdem, wo ich gerade mit dem Pferd in der Ausbildung stehe).

Ich selbst muss in der Lage sein, das Pferd dann auch wirklich zu führen. Habe ich in dem Augenblick, wo ich eigentlich los möchte, ein Problem, zum Beispiel ein verfitztes Führseil, eine undeutliche Körpersprache, bin abgelenkt, oder etwas steht mir im Weg, den ich eigentlich gehen möchte, dann ist auch dies Teil von meinem Setup. Denn wenn ich nun das Pferd nach „los“ frage, aber das eigentlich von meiner Seite aus gar nicht geht, dann habe ich mir selbst die Weichen bereits auf Misserfolg gestellt. Dasselbe gilt, wenn mein Pferd gerade extrem angespannt und nervös ist, so sehr, dass es mir gerade gar nicht zuhören kann. Wenn ich es jetzt nach etwas frage, dann ist der Misserfolg bereits vorprogrammiert, und ich stelle mir damit selbst ein Bein.

Puh, so viele Rahmenbedingungen für so eine easy-peasy-Aufgabe wie das Führen! Dir ist sicher auch klar: je schwieriger die Aufgabe, desto mehr Rahmenbedingungen sollten erfüllt sein, um Erfolg zu haben. Und es gibt keine Abkürzungen. Mein Pferd beispielsweise muss alle Schritte kennen, die zu seiner jetzigen Aufgabe führen. Ansonsten hätte ich ein schlechtes Setup, und würde meinem Pferd und mir einen Misserfolg bescheren. Ich möchte aber erfolgreich trainieren, und dem Pferd immer die Möglichkeit schaffen, mir die Antwort geben zu können, die ich gern hören bzw. sehen möchte. So wie ein Schulanfänger nicht schreiben lernen kann, bevor er nicht die Buchstaben kennt – dazu jedoch muss er bereits wissen, wie man den Stift richtig hält. Kann er aber schon gut schreiben, dann können immer komplexere Dinge dazu kommen, bis hin zum Aufsatz oder zur Doktorarbeit. Ich kann jedoch keine Schritte weglassen, und ich kann auch keinen Erstklässler hinsetzen und einen zweiseitigen Aufsatz von ihm fordern. Das hätte nämlich einen fatalen Effekt: Er würde lernen, dass ich keine vernünftige Person bin und dass die Arbeit mit mir überfordernd ist, Angst macht und sich negativ anfühlt. Mache ich aber Schritt für Schritt mit ihm, leite ihn an, unterstütze und helfe, indem ich die Schritte klein halte und dabei das Setup auf Erfolg stelle, und nicht auf Misserfolg, dann bekommt er Vertrauen in mich, Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten, und Vertrauen in die gemeinsame Arbeit. Er wird im besten Fall Spaß daran haben und sich über seine eigenen Erfolge freuen! Das erlebe ich auch bei den Pferden regelmäßig. Je mehr sie spüren, dass ich ihnen helfe, mehr innere Ruhe, Kraft, Kondition und Geschick zu erlangen (was natürlich für ein Lauftier lebenswichtige Vorteile bietet), desto lieber arbeiten sie mit mir zusammen.

Hier sind wir nun bei der Motivation. Auch Motivation an sich ist ein komplexes Thema, sie ist typabhängig, und sie muss meines Erachtens erst aufgebaut werden. Natürlich sind Pferde sehr freundliche und auf Harmonie bedachte Wesen, aber sie haben ihre Grenzen dessen, worauf sie Lust haben, und dann ist die Frage: Wie geht es danach weiter? Wie erhalte ich die Motivation des Pferdes, und was tue ich, wenn es mal keine Lust hat? Mich dann doch „durchsetzen“?

Neulich hatte ich eine liebe Freundin bei meinen Pferden zu Besuch, die mich genau das fragte: „Anne, was machst du denn, wenn das Pferd mal was nicht will?“ Spannende Frage. Denn wir wollen ja auch mit unseren Pferden etwas tun, sie reiten, fahren, longieren, whatever. Mein Pferd gehört tendenziell eher zur gemächlichen Fraktion, und denen kann es gehörig gegen den Strich gehen, wenn sie zum Vorwärtsgehen aufgefordert werden. Da zum Beispiel arbeite ich mit dem Aufbau meiner Hilfenkette. Erst kommt ein winziges Signal. Dann ein klitzekleines. Dann ein kleines. Dann ein etwas größeres. Dann ein großes, deutliches, das keinen Zweifel an meiner Absicht lässt und mit Sicherheit dafür sorgt, dass das Pferd das tut, was ich gern möchte (denn ich habe ja auch mein Setup entsprechend vorbereitet). Wenn ich meine Hilfenkette IMMER – ohne Ausnahme! – so aufbaue und IMMER konsequent bis zum Ende durchziehe und auch erst dann das Pferd belohne, wenn es reagiert, dann muss ich nicht mehr jedes einzelne Mal meine Bitte „durchsetzen“. Mein Pferd weiß genau: Es hat eine Wahl. Es kann jetzt reagieren, oder warten, bis ich ihm so richtig auf die Nerven gehe. Pferde wählen immer den Weg des geringsten Widerstandes, des größten Komforts, des minimalsten Aufwandes und des größten Benefits. Wenn mein Setup passt, wird „durchsetzen“ überflüssig. Ja, es kann natürlich auch mal Situationen geben, wo das Pferd nicht sofort reagiert. Vielleicht hat es gerade nicht aufgepasst, und war in Gedanken bei den Kumpels nebenan auf dem Paddock, die so lustig spielen. Oder es hat aufgepasst, und kennt auch meine Hilfen, hat aber absichtlich andere Pläne, es möchte nach rechts, wenn ich nach links will. Dann kennt es die Konsequenzen seiner Entscheidung (nicht aufmerksam sein/ gegen mich gehen): es kommt eine größere, deutlichere Hilfe, die es im Zweifelsfall nervt und nervt und nervt und nervt und nervt bis es schließlich zuhört und tut, worum ich es bitte. Und vielleicht verwende ich für meine „große Hilfe“ am Ende der Hilfenkette auch mal recht viel Energie, sodass es echt penetrant wird.

„Aber dann setzt du ja letztlich doch deinen Willen durch?!“, fragte meine Freundin.

Ja, im Grunde schon. Ich bin schließlich der Leitmensch, ich habe die Verantwortung. Das heißt auch, ich treffe alle Entscheidungen. Mein Pferd ist mein Freund, ich liebe es und habe Achtung und Respekt vor seiner Persönlichkeit, aber es bleibt auch ein Pferd. Es kann weder den Straßenverkehr noch sonst welche zivilisierten Gefahren und Situationen einschätzen, und ich möchte, dass wir uns sicher miteinander bewegen können. Ich möchte ja auch nicht, dass mein Pferd mich mit seinen 1,70m und über 600kg herumschiebt, weil es eine Situation so oder so einschätzt, denn das würde mich in ernsthafte Gefahr bringen. Und unterwegs an der Landstraße oder sonstwo hat es zu tun, was ich sage. Aber nicht, weil ich gern den Ton angebe und herrschsüchtig bin, sondern weil das nur so herum sicher für uns beide und unsere Umgebung ist. Wenn ich jedoch bereits kleine Entscheidungen nicht klar und souverän treffe und vertrete, wie soll ich meinem Pferd dann klar machen, dass ich die lebenswichtigen Entscheidungen für uns treffen will?

Meiner Freundin erklärte ich das mit einem kleinen Kind, das im Winter bei -10°C ohne Jacke rausgehen will, weil es gerade keine Lust hat, seine Jacke anzuziehen. Was tust du? Erlaubst du das?

Selbstverständlich wirst du dafür sorgen, dass das Kind seine Jacke anzieht. Es gibt einfach nur verschiedene Varianten, wie du damit umgehst. Du kannst es anschreien und es grob in seine Jacke stopfen, und das wäre diese Art sich „durchzusetzen“, die ich persönlich ablehne. Du kannst aber auch freundlicher sein, mit dem Kind verhandeln, ihm erklären, warum es die Jacke anziehen muss, oder es einfach so lange mit der Jacke nerven, bis ihm das Spiel keinen Spaß mehr macht und es sie anzieht. Du kannst aber auch mit dem Kind zu Hause bleiben, und ihm erklären, dass die Konsequenz seines Handelns ist, dass es den Kindergeburtstag seines Freundes verpasst. Auch hier ist es typabhängig und situationsabhängig, auf welche Art man vorgeht, damit „durchsetzen“ zwar konsequent, aber nicht gewaltvoll ist, und so, dass das Gegenüber durchaus eine Wahl hat, wie angenehm oder auch mal etwas unangenehmer und nerviger es wird.

Eine Portion schnöden Realismus, bitte – zum hier essen

Hier kommt nun ein kleines bisschen Desillusionierung für alle, die ganz „ohne Druck“ und ohne Autorität oder Strenge und ohne auch mal etwas mehr Energie einzusetzen mit ihrem Pferd umgehen wollen. Das verstehe ich sehr gut, denn beim Pferd wünschen wir uns einen Platz zum Wohlfühlen oder zum Erholen, ohne ein schlechtes Gefühl haben zu müssen. Führen ist mitunter sehr anstrengend, es erfordert auf jeden Fall eine gewisse innere Kraft. Und erfordert ein gewisses Maß an „Chefsein“, an Klarheit und Entscheidungen treffen. Das kann mental und auch emotional anstrengend sein, und oftmals ist „Druck“ auch etwas negativ Besetztes. Wenn du zu den Menschen gehörst, die sich mit dem Anführen sehr unwohl fühlen, und die das Gefühl haben, sie würden ihr Pferd auf eine Weise herumkommandieren oder unterdrücken, wenn sie etwas von ihm wollen, dann lohnt es sich auf jeden Fall, in einem Coaching mit mir mal genauer hinzusehen, und sich auf die Spur dieser als negativ empfundenen Handlungen und Gefühle zu begeben. Das Ergebnis kann sehr spannend und aufschlussreich sein, und zu einem viel harmonischeren Verhältnis mit dem Pferd führen.

Die schnöde Realität sieht so aus: Sich die Anführerschaft der 2er-Herde und die Kontrolle über das Geschehen 50-50 teilen – das geht leider sowohl mit Kleinkindern als auch mit Pferden nicht. Es würde sie überfordern, es wäre nicht fair ihnen gegenüber, denn das könnten sie nicht leisten, kognitiv und mental. Und Pferde wollen und brauchen das auch gar nicht. Sie lehnen sich eigentlich ganz gern entspannt zurück, wenn sie sich mit ihrem Anführer gut fühlen. Die Frage ist also viel mehr: wie gestalte ich die Zeit für uns beide, sodass ich nicht nur meine Bedürfnisse über das Pferd irgendwie befriedige und es benutze, sondern dass das Pferd sich ebenfalls wohl und glücklich fühlt, dass es auch etwas von unserer gemeinsamen Zeit hat, und dass es gern mit mir zusammen ist. Wo muss ich klar sein, und wo ist Raum für Kompromisse? Ich denke, hierbei geht es vor allem um das Empfinden von Sicherheit und die Erfüllung von essenziellen Bedürfnissen. Je klarer ich das Pferd anführe, desto mehr Sicherheit empfindet es. Je klarer und selbstbewusster ich kommuniziere, was ich möchte, desto entspannter kann das Pferd sich in meine Hände begeben und auf meine Anfrage reagieren. Dazu ist es jedoch notwendig, dass ich auch seine Grenzen achte, dass ich seine Bedürfnisse und seine Leistungsfähigkeit im Blick habe, und dass ich bei einer „Nein!“-Antwort vom Pferd nicht blind weiterfordere, sondern nach den Ursachen schaue und sie abstelle. Grundlage für all das ist es, dass ich mir das Setting passend einrichte, und dass mein Pferd immer genau weiß: es gibt weiß und schwarz im Spektrum der Kommunikation, es gibt Yin und Yang: ich als Mensch bin grundsätzlich klar und vorhersehbar, denn ich beginne immer lieb und sanft, ganz nett und freundlich, mit einer klitzekleinen Anfrage. Ich kann aber auch im Spektrum weiter gehen und schließlich echt nervig und penetrant werden, wenn nichts passiert, und zwar genau so lange, bis das Pferd reagiert. Und da sind Pferde ganz simpel gestrickt: Sie wollen keinen Stress, und reagieren lieber schon zeitig, wenn sie das Spiel erst einmal verstanden haben – und das tun sie ziemlich schnell!

Wenn du diese Dinge vernünftig anwendest und deinem Pferd geduldig alle Schritte beigebracht hast, dann gibt es eigentlich keinen Grund mehr, dass du dich wirklich noch harsch „durchsetzen“ musst im Sinne meines erstens Beitrags. Vielleicht aber musst du dein Pferd immer wieder mal daran erinnern, dass du es wirklich ernst meinst, und musst diese Haltung ihm gegenüber auch ernsthaft vertreten – zumindest wenn es so gestrickt ist wie meins, denn das fragt ganz gern dann und wann nochmal nach und will es ganz genau wissen, wie genau ich hinschaue. Kleiner Streber eben.


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