Yay, es ist soweit – der große Tag ist endlich da. Du hast ein neues Pferd – ein eigenes oder eine Reitbeteiligung – und freust dich wie verrückt auf die gemeinsame Zeit! Doch statt Harmonie und Vertrautheit läuft alles ganz anders als geplant. Nichts klappt, was beim Ausprobieren noch so easy war, und es scheint wie verhext. Auch nach ein paar Trainings – statt besser wird es eher schlimmer. Und nach spätestens zwei, drei Wochen kommen Dinge zum Vorschein, die du gar nicht erwartet hattest. Hast du dir vielleicht sogar das falsche Pferd ausgesucht…?
Nichts klappt – und nun??
Okay, puh. Versuch dich jetzt erstmal ein bisschen zu entspannen und nimm etwas Druck raus. Auch wenn es dir gerade schwerfällt, ist es wichtig, die Situation erstmal zu akzeptieren und zu sagen: Es gefällt mir nicht, aber es ist jetzt, wie es ist. Vielleicht wolltest du dieses Jahr mit deinem neuen Pferd ein bestimmtes Ziel erreichen oder bist von Ablauf X ausgegangen. Du hattest hohe Erwartungen. Das ist okay. Auch dass es jetzt nicht so läuft wie erwartet, ist okay. Deine Verunsicherung und Frustration – auch okay. Auch wenn es sich jetzt im Moment verfahren anfühlt, kann alles richtig gut werden. Man wird nicht über Nacht zum Team, aber ihr könnt euch heute auf den Weg dahin machen. Der erste Schritt ist der schwerste: stell deine Erwartungen erstmal kalt (später mehr dazu).
Der zweite Schritt ist dieser: Erlaube deinem Pferd, dir seine Meinung zu sagen, und dir ehrlich zu zeigen, wie es sich fühlt. Was vor euch liegt, ist der Beginn einer tollen neuen Entdeckungsreise, und der Anfang kann holprig sein – das ist ganz normal. Bitte mach dir bewusst: Auch wenn Vorgehen X beim Stallnachbarn super geklappt hat, muss es das nicht auch bei dir und deinem Pferd – mach dich deswegen aber nicht fertig, und vor allem: setz dich und dein Pferd nicht unter Druck. Es geht darum, EUREN Weg zu finden, hin zu einer Beziehung, die für euch beide gut funktioniert. (Warum das so wichtig ist, habe ich unter anderem in diesem etwas ketzerischen Beitrag über die Skala der Ausbildung beschrieben.)
Schema F: lass es los.
Wir Menschen lieben Schemata, denn sie vereinfachen unser Leben. Und wir sind voll von Erwartungen. Erwartungen an uns selbst, an andere, und an den heutigen und morgigen Tag. Beides stellt uns im Pferdekontext jedoch ein Bein. In dieser Phase des Beginns mit einem neuen Pferd ist es vor allem entscheidend, unsere Erwartungen komplett zurückzustellen und das Schema F, das wir vielleicht aus früheren Pferdebeziehungen kennen, loszulassen. Das neue Pferd hat eine eigene Geschichte, eigene Erfahrungen und vielleicht auch Herausforderungen, die es prägen. Lass dich voll und ganz darauf ein, statt ihm deine Erwartungen überzustülpen. Denn ein erfolgreicher Start in eine neue Beziehung erfordert Geduld, Einfühlungsvermögen und das Einsehen, dass Vertrauen und Verständnis nur langsam entstehen.
Das Pferd als neues Individuum kennenlernen
Jedes Pferd hat seinen eigenen Charakter und eine ganz individuelle Vorgeschichte. Möglicherweise hat es traumatische Erlebnisse im Gepäck, oder es hat nie gelernt, eine vertrauensvolle Beziehung zu einem Menschen aufzubauen, wurde nur als eine Art Sportgerät verwendet. Diese Vergangenheit beeinflusst maßgeblich, wie das Pferd auf dich reagiert und welche Verhaltensweisen es zeigt. Der erste Schritt besteht darin, dein Pferd wirklich kennenzulernen – und das nicht nur oberflächlich, z.B. welches Futter es mag, sondern auch seine Körpersprache, seine Reaktionen und seine Stimmungslagen zu verstehen. Beobachte, wie es sich bewegt, wie es wann reagiert und welche Dinge es verunsichern oder entspannen. Gib deinem Pferd Zeit, damit es sich auf dich einlassen kann, und habe Geduld mit ihm. Vor allem wenn es schwierige Erfahrungen mit Menschen gemacht hat, benötigt es besonders viel Zeit und Verständnis, bis es seine Meinung über Zweibeiner ändern kann.
Die Anpassung an eine neue Umgebung
Ein Stallwechsel und eine neue Herde sind für Pferde oft ein gewaltiger Umbruch. Sie müssen nicht nur die neue Umgebung und die unbekannten Menschen akzeptieren, sondern sich auch in die soziale Struktur der neuen Pferdegruppe einfinden. Pferde brauchen oft Monate, um sich vollständig an eine neue Umgebung zu gewöhnen – der Wechsel kann sie stark verunsichern. Je nachdem, wie sie in der neuen Pferdegruppe ankommen, kann es (vor allem in einem Offenstall) dazu kommen, dass sie zunächst Schwierigkeiten haben, in Ruhe fressen oder schlafen zu können, weil sie häufig vertrieben werden. Darum können sie in dieser Zeit deutlich nervöser, schreckhafter oder unausgeglichener sein als sonst. Als neuer Besitzer ist es wichtig, diese Phase der Eingewöhnung mit Geduld und wachem Auge zu begleiten, und dem Pferd genug Zeit zu geben, bevor neue Erwartungen an es gestellt werden.
Es kann dem Pferd aber auch sehr helfen, wenn du ihm Stabilität und Sicherheit durch leichte, ihm vielleicht sogar vertraute Aufgaben gibst, die es gut bewältigen kann, und die ihm Freude machen. (Was macht deinem neuen Pferd Freude? Finde es heraus!)
Um etwas ganz Neues zu lernen, kann jetzt jedoch der falsche Moment sein, wenn dein Pferd aktuell viel Stress durch den Stallwechsel hat – denn Stress verhindert effektives Lernen.
Erwartungen zurückstellen – dem Pferd zuliebe
Oft kommen wir mit einer Vorstellung davon in die neue Pferdebeziehung, was wir wann mit dem Pferd erreichen möchten. Doch bei einem neuen Pferd ist es wichtig, diese Erwartungen zunächst vollkommen loszulassen. Erwartungen zurückzustellen bedeutet vor allem, flexibel auf die Signale des Pferdes einzugehen, ohne gleich den Druck zu erhöhen. Statt auf schnelle Fortschritte zu hoffen, kann es sinnvoller sein, sich selbst als Schüler zu betrachten, der das Pferd besser kennenlernen möchte. Hör ihm zu, hör dir seine Meinung an. Sagt es dir, dass es dich heute nicht aufsteigen lassen möchte? Dass dieser Ort es überfordert? Gib ihm Zeit, pass dich deinem Pferd an.
Diese Phase des „Abwartens“ ist nicht passiv. Sie ist vielmehr die Grundlage dafür, dass das Pferd langsam Vertrauen fasst und in seinem eigenen Tempo Fortschritte macht. Du hast jetzt die einmalige Gelegenheit, dein Pferd richtig kennenzulernen und es zu beobachten. Erfahre, wie es mit Stress und Unsicherheit umgeht, was es herausfordert, und was ihm hilft. Du kannst gerade jetzt zu einem wichtigen Anker für dein Pferd werden und ihm zeigen, wie wertvoll du als verlässlicher Beziehungspartner in allen Lebenslagen bist. Wie? Indem du es nicht durch dein Wollen überforderst, sondern es durch stressige Situationen hindurch leitest und ihm hilfst, damit umzugehen. Diese Basis sorgt dafür, dass dein Pferd sich umso bereitwilliger an dir orientiert, und das ist es schließlich, was wir erreichen wollen.
Die Bedeutung von kleinen Erfolgen
Nicht nur in der Anfangsphase kann es unglaublich motivierend sein, kleine Fortschritte zu feiern. Diese vermeintlich winzigen Erfolge sind entscheidend für den Beziehungsaufbau und die Motivation des Pferdes, aber auch für deine eigene. Ein Pferd, das lernt, positive Erfahrungen mit dem Menschen zu verbinden, wird offener und entspannter in der Interaktion. Vielleicht ist es zunächst ein total kleiner Schritt: Etwa das ruhige Stehen beim Putzen oder das selbstständige Annähern an dich im Round Pen oder auf der Weide. Doch jeder dieser Schritte trägt zum Aufbau von Vertrauen und Sicherheit bei.
Langfristig gesehen entsteht jede tolle, innige Beziehung und jeder große Erfolg aus Minierfolgen und klitzekleinen positiven Erlebnissen. Versuche, sie im Alltag zu erkennen und sie zu feiern, wann immer du kannst! Allein das kann für uns Menschen eine gewaltige Herausforderung sein. Versuche es aber, und trau dich, deine Freude darüber von Herzen zu zeigen. Dein Pferd wird es verstehen und sich magisch von dir angezogen fühlen.
Die gemeinsame Sprache finden
Pferde kommunizieren anders als wir. Sie sind Meister der Körpersprache und reagieren sensibel auf kleinste Signale. Eine gemeinsame Sprache mit dem Pferd zu entwickeln, bedeutet vor allem, dass wir auf seine Bedürfnisse und Kommunikationsweisen eingehen. Das kann heißen, gründlich zu beobachten, auf ein exaktes Timing zu achten, unseren eigenen Körper genau zu kontrollieren, und unser eigenes Verhalten achtsam zu reflektieren.
Ein absoluter Geheimtipp dafür: sei während der Arbeit mit deinem Pferd ganz ihm Hier und Jetzt. Lass dich von nichts anderem ablenken, und nimm dir Zeit. Alle Zeit, die dein Pferd braucht. Geh nicht in Eile zum Pferd, und leere deinen Kopf von Plänen, Gedankenwirrwarr und Stress, bevor du ihm gegenübertrittst. Hier und Jetzt zählt allein dein Pferd, zählst du, und eure Beziehung und eure Kommunikation. Sonst nichts.
Je klarer dein Geist ist, desto klarer eure Kommunikation und dein Blick auf die Sprache deines Pferdes. Indem du ruhig, präsent und ohne Eile auf das Pferd eingehst, lernst du, wie es auf deine Signale reagiert. So kannst du herausfinden, was es braucht, um sich bei dir sicher zu fühlen. Das hilft ihm, in der neuen Situation schneller anzukommen und sich bald schon mit dir gemeinsam neuen Aufgaben zu stellen.
Die Motivation entdecken – was mag dein Pferd wirklich?
Ein Pferd ist nur dann wirklich engagiert und motiviert, wenn es Freude an dem hat, was es tut. Finde heraus, was dein neues Pferd gerne macht und was es für ein Charaktertyp ist. Ist es neugierig und experimentierfreudig oder mag es lieber Routinen? Fühlt es sich toll, wenn es sich in der Dressurarbeit an der Hand groß machen und aufrichten darf? Springt es gern, bummelt es gern durch den Wald? Vielleicht hat es auch Spaß an Bodenarbeit, Freiarbeit oder an Tricks mit dem Clicker. Indem du darauf eingehst und dem Pferd die Wahl lässt, eigene Interessen zu erkunden, entsteht eine tiefere Verbundenheit. Dein Pferd wird merken, wenn die Arbeit mit dir ihm guttut, seinen Körper und seinen Geist in Balance bringt. Es wird deswegen deine Nähe suchen und gern deine Hilfen annehmen. Das ist die Motivation von innen heraus, die so wichtig ist.
Langsam vorwärts – im eigenen Tempo
„The slower you go, the faster you grow.“ (Richard P. Kluft)
Ich liebe diesen Satz, denn er macht Mut, wenn man mal wieder das Gefühl hat, dass alles viiieeel zu langsam geht – typisch Mensch eben! Denn ein oft übersehener Aspekt in der Arbeit mit einem neuen Pferd ist, dass jedes Pferd sein eigenes Tempo braucht, um sich zu entwickeln. Manche Pferde haben Schwierigkeiten bereits mit leichtestem Druck, sind sehr ängstlich und unsicher, und brauchen darum einfach mehr Zeit, um zu lernen und Vertrauen zu fassen. Geduld und die Bereitschaft, auch einmal Rückschritte zu akzeptieren, sind entscheidend.
Viele Pferde bringen Erfahrungen mit, die sie geprägt haben. Vielleicht zeigt dein neues Pferd bestimmte Verhaltensweisen oder Ängste, die dich fordern. Hier ist es wichtig, mit viel Empathie auf das Pferd einzugehen und herauszufinden, warum es so reagiert. Statt das Verhalten sofort ändern zu wollen, hilft es, die Hintergründe zu verstehen und Lösungen zu finden, die dem Pferd Sicherheit geben.
Was wir riskieren, wenn wir zu viel wollen: das Wertvollste von allem
Wenn wir zu schnell vorangehen und zu viel erwarten, riskieren wir, das Vertrauen des Pferdes zu verlieren – und dann müssen wir wieder von vorn beginnen oder in Kauf nehmen, dass es nie richtig gut wird. Wenn du dein Pferd z.B. regelmäßig zum Aufsteigen zwingst, statt mit ihm kleinschrittig zu erarbeiten, dass es, ohne gehalten zu werden, stehen bleibt und dich auf seinem Rücken willkommen heißt, dann wirst du jedes einzelne Mal beim Aufsteigen denselben Kampf ausfechten. Auf Jahre hinaus.
Natürlich dauert es zunächst länger, von Grund auf daran zu arbeiten, als sich einfach jedes Mal irgendwie aufs Pferd zu schwingen, während es jemand an der Flucht hindert, und du kannst womöglich auch nicht sofort losreiten, sondern musst erst etwas Zeit investieren, bis es dich auf seinen Rücken lässt…Doch dann hast du ein Pferd, das bereitwillig mit dir in die gerittene Arbeit startet, und das auch nicht beim Reiten plötzlich explodiert, weil es schon vom Aufsteigen völlig gestresst ist.
Betrachte es mal so: Jede kleinste Etappe kann als neuer Meilenstein gefeiert werden. Statt verbissen das große Ziel zu verfolgen und deswegen ständig Misserfolg zu sehen, verlagert sich der Fokus auf die einzelnen kleinen Schrittchen und die Freude daran, gemeinsam zu wachsen.
Ein starkes Fundament – Der Wert der gemeinsamen Reise
Vertrauen ist die Basis jeder Beziehung, und für ein Pferd ist es besonders wichtig, Sicherheit im Umgang mit dem Menschen zu empfinden. Vertrauen aufzubauen, geschieht jedoch nicht über Nacht. Es ist das Ergebnis vieler kleiner, behutsamer Begegnungen. Zeige dem Pferd durch deine ruhige Präsenz und deine konsequente, achtsame Führung, dass es sich auf dich verlassen kann.
Ein neues Pferd ist keine Frage der schnellen Erfolge, sondern wie eine Schatzsuche, die sich Schritt für Schritt entfaltet. Geduld, die Bereitschaft, deine Erwartungen zurückzustellen, und dein Engagement, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, führen letztlich zu einer stabilen, harmonischen Partnerschaft. Mit jedem Tag, an dem du dein Pferd besser verstehst und es sich mehr auf dich einlässt, wächst das Vertrauen. Und am Ende zählt vielleicht gar nicht so sehr das Ziel, sondern die Tiefe und die Qualität der gemeinsamen Erlebnisse auf dem Weg dorthin.
Eine vertrauensvolle, respektvolle Beziehung zu einem Pferd ist ein Geschenk – und mit der nötigen Geduld und Achtsamkeit ein Ziel, das ihr gemeinsam erreichen könnt! Habt ihr das erst geschafft, könnt ihr von dort aus überallhin durchstarten. Wenn ihr Unterstützung beim Start eurer Beziehung braucht oder dein Pferd Verhaltensweisen zeigt, an denen du arbeiten möchtest, bin ich gern für euch da.
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