Demut im Umgang mit dem Pferd

Demut ist meines Erachtens ein Wort, das ziemlich wenig im Sprachgebrauch vorkommt. Es klingt nicht nur ein bisschen Oldschool, sondern eher schon antik. Doch seiner Bedeutung nach, finde ich persönlich, ist eine demütige Haltung den Mitmenschen und Mitgeschöpfen gegenüber einer der wichtigsten Aspekte in einem gelungenen Miteinander.

Doch was genau soll Demut nun sein?

Wenn ich auf Wikipedia danach schaue (->Link), dann bekomme ich zuerst ein bisschen unangenehme Gänsehaut, denn mit der heutigen Bedeutung hat das da irgendwie wenig zu tun. Es geht wohl im Wortursprung und dessen biblischem Verständnis um sowas wie das Verhältnis vom unterwürfigen Knecht zu seinem Herrn, und hat mit dienen zu tun. Nein, das finde ich nicht zeitgemäß, sorry. Auch die Demütigung ist jetzt echt nichts Schönes oder irgendwie hilfreich. Ist beides jedoch im Alltag (sowohl am Arbeitsplatz und in der Schule, als auch häufig im Umgang mit Pferden) ziemlich oft anzutreffen, auch wenn ich persönlich das am ehesten mit einer mittelalterlichen Weltsicht verbinde. Könnte man ja mal hinterfragen…

Es gibt aber auch eine andere Sicht auf die Bedeutung von Demut. Die dann eher so etwas bedeutet wie: Ich bleibe auf dem Boden. Ich erkenne meine Grenzen an. Ich erkenne, dass ich nicht besser, toller, besonderer bin als ein anderes Lebewesen. Ich verhalte mich nicht so, dass ich mich über ein anderes Lebewesen stelle, es gar kleinmache, um besser dazustehen. Ich lasse es sein und gelten, wie es ist, und achte seine Würde.

Aha. Würde also. Ja, das finde ich passend.

In der modernen Forschung und Literatur und für Führungskräfte wird sogar auf Demut als wertvolle Eigenschaft verwiesen, und wir als Führungskräfte am Pferd können uns da gern eine Scheibe abschneiden:

  • Anerkennen, was jemand anderes leistet oder dass er sich bemüht.

Wie oft stellen wir Menschen uns hin und sehen es als ganz selbstverständlich an, dass das Pferd genau das tut, was wir verlangen? Ohne ihm dafür extra Anerkennung zu zollen? Auch im Trainingsprozess ist es sehr, sehr wichtig, anzuerkennen, wenn das Pferd sich bemüht. Dazu muss es noch gar nicht seinen Körper bewegen, denn anfangs ist es das Wichtigste, dass es überhaupt in die richtige Richtung denkt. So sichere ich einen schrittweisen Lernerfolg, und vor allem Motivation. Wenn mein Chef mich nur dann lobt, wenn ich absolut perfekt abgeliefert habe, es aber dagegen nicht sieht (oder gar abschätzig kommentiert), wenn ich hart arbeite, und etwas trotzdem am Ende vielleicht nicht so richtig gut herauskommt, dann schwindet meine Motivation, es nochmal zu versuchen, sowohl kurzfristig als auch langfristig.

Demut bedeutet Achtsamkeit für andere, und sichert dadurch Motivation und Engagement im Team, auch bei deinem Pferd!

  • Anerkennen, dass ich selbst Fehler mache und Schwächen habe.

So klar und eigentlich so menschlich, aber auch so schwer. Zugegeben, wir haben nicht die beste Fehlerkultur in Deutschland. Ein Fehler wird oft eher betrachtet als etwas Schreckliches, das man hätte verhindern sollen und auch müssen! Klar, solche Fehler gibt es auch, z.B. sollte der Chirurg bei der Herz-OP besser nicht patzen. Aber die allermeisten Fehler beziehen sich eher auf weniger lebensnotwenige, kleinere Dinge, und lassen sich durchaus wiedergutmachen. Ganze Bücher und Jahrtausende alte Weisheiten gibt es über Fehler und Schwächen, was deutlich macht, wie schwierig, aber auch wie wertvoll es sein kann, mit Fehlern und Schwächen umzugehen. Wenn es jedoch gelingt, unendlich hilfreich: Sei mutig und gestehe Fehler ein, und korrigiere sie vor allem! Du wirst auf ganzer Ebene gewinnen. Im Training und im Umgang mit dem Pferd passieren unweigerlich Fehler. Vielleicht kommt mal eine Hilfe zu spät, zu ungenau, du stehst ein bisschen falsch, du hast deinen Körper nicht exakt auf das Pferd ausgerichtet – zack, schon passiert, weil Pferde auch so viel schneller und feinsinniger sind als wir Menschen. Und dann klappt etwas nicht gut, oder es geht ganz und gar schief. Kann passieren. Es dann aber aufs Pferd oder auf die Mitmenschen zu schieben, ist weder fair noch hilfreich. Im Gegenteil, es hält dich selbst davon ab, besser zu werden, achtsamer zu sein und präziser zu kommunizieren.

Demut bedeutet also Achtsamkeit, Analysieren und Hinterfragen, vor allem in Bezug auf sich selbst – um besser werden zu können.

  • Lernbereit und offen sein.

Es gibt unendlich viel zu wissen und zu können, allein auf dem Gebiet der Pferde. Man kann Jahrzehnte der Erfahrung haben und trotzdem noch dazulernen. Indem du dir die Offenheit bewahrst, schützt du dich davor, nicht mehr zu lernen, und erhältst dir die Möglichkeit, neue Perspektiven einzunehmen, neue Lösungen zu versuchen, oder generell neue Ideen zu haben. Das kann sehr herausfordernd fürs Ego und für deine Glaubenssätze sein, und das ist der Hauptgrund dafür, warum Lernen auch unangenehm sein kann. Viele von uns haben leider auch erfahren müssen, dass Lernen mit Demütigung verbunden ist. Weil man etwas noch nicht wusste, wird man von anderen Menschen kleingemacht und verspottet. Das bleibt leider bis ins Erwachsenenalter so, und gerade in Reitställen gibt es teilweise enorm viel Gerede, Neid, Feindseligkeit, Besserwisserei und Hohn. Auch diese negative Erfahrung mit dem Lernen ist etwas, das du überwinden darfst. Suche dir ein Umfeld, in dem du lernen darfst, und wo es okay ist, nicht perfekt und allwissend zu sein.

Demut hilft dir dabei, dir deine natürliche Neugier und deine Lernbereitschaft und Offenheit für Neues und für Andere zu erhalten.

  • Verstehen, dass ich nur ein Teil von einem größeren Ganzen bin.

Wenn sich jemand als der Nabel der Welt versteht, und sich die Sonne um diese Person dreht, dann sind dies Metaphern, die auf eine anstrengende und schwierige Person schließen lassen. In ihrem Umfeld ist echtes Entspannen, Du-Sein und Wohlfühlen nicht möglich, weil du damit rechnen musst, dass diese Person von vorn herein von dir erwartet, dass du dich in ihr egozentrisches Weltbild irgendwie einfügen lässt, egal, ob sich das für dich nun gut anfühlt oder nicht. Du darfst jedoch nicht damit rechnen, dass diese Person einen Gedanken daran verschwendet, wie dir dabei zumute ist, was du möchtest, und wo deine persönlichen Grenzen sind. Und nun frage ich dich bitte: Möchtest du selbst gern eine solche Person sein und so mit deinem Pferd umgehen?
Dein Pferd und du, ihr seid eine kleine Herde, ein Team, eine Einheit. Diese funktioniert nur dann, wenn auf Bedürfnisse und auch Befindlichkeiten beider eingegangen wird. Du als Herdenchef oder Leitmensch bist dafür verantwortlich. Fragst du dich im Training nach den Befindlichkeiten und den Ansichten deines Pferdes? Viele Dinge sagt es uns nicht, weil das Pferd seiner Natur nach ein Meister des Verbergens ist. Du merkst aber vielleicht, dass es heute unkonzentriert oder nervös ist. Vielleicht konnte es nicht genug Tiefschlaf halten letzte Nacht. Vielleicht gab es weniger schmackhaftes Heu. Vielleicht hat es eine kleine Verspannung – nichts Wildes, aber es zwickt. Vielleicht hat es gerade Fellwechsel und ist ein bisschen müde, weil sein Körper all die Nährstoffe dafür abzweigt. Vielleicht hat es gerade Stress mit einem Artgenossen. Du siehst von all dem nichts, so wenig wie dein Chef in der Arbeit sieht, ob du heute vielleicht Kopfschmerzen hast, ob du dich verlegen hast und jetzt dein Nacken blockiert ist, ob du gut geschlafen hast, oder ob das Frühstück vielleicht heute zu knapp ausgefallen ist, ob du vielleicht gerade Stress mit deiner Mutter, deinem Kind oder deinem Partner hast, und das dich ein bisschen ablenkt. Dein Boss sieht nur, dass du heute nicht so wie sonst leistest und zählt dich an…Klar, das ist sein Job. Aber würdest du dir nicht wünschen, dass das auch mal einfach okay wäre?
Im Zusammenhang mit Pferden sei hier auch noch die unterschiedliche Wahrnehmung der Welt und die Reizverarbeitung im Gehirn genannt. Wie oft hörst du von anderen Reitern (oder denkst dir selbst): Oh Mann, jetzt geht das dumme Pferd wieder nicht an dieser Mülltonne vorbei, dabei kennt es die doch schon von gestern/vorhin…Vorhin bist du aber aus der anderen Richtung gekommen, und es hat die Tonne mit dem anderen Auge gesehen. Oder es liegt nun etwas daneben, was gestern nicht da war. Was das Pferd betrifft, so hat es nun einen völlig neuen Gegenstand vor sich, der nun erst einmal durch die Sicherheitsprüfung muss. Da du aber ein Mensch bist, hast du kein Verständnis dafür, denn du kannst viel besser generalisieren. Dein Gehirn erkennt sofort und automatisch: Objekt = Mülltonne, Gefahr = 0. Sei dir dieses Unterschieds der Wahrnehmung immer bewusst. Schließe nicht von dir auf andere, schon gar nicht auf dein Pferd.

Demut hilft uns also auf vielfältige Art. Sie setzt uns wieder in Relation zur Welt und den anderen Lebewesen darin. Sie erinnert uns daran, dass wir nichts Besseres sind als sie, und sorgt dafür, dass wir mit den Füßen am Boden bleiben. Sie schärft unser Bewusstsein dafür, dass wir anders funktionieren als andere Lebewesen, dass wir anders denken und fühlen als andere Lebewesen, und dass wir eben Individuen sind. Dass das aber auch okay und toll und spannend und interessant ist, denn Andersartigkeit ist nunmal der Standard. Keine zwei Menschen oder Pferde sind gleich. Demut macht es möglich, sich wirklich voll und ganz auf ein anderes Lebewesen einzulassen, und dabei zu lernen, sich weiterzuentwickeln, und neue Perspektiven einzunehmen – auch die eines anderen Wesens. Demut macht echtes, tiefes Verstehen möglich und eine Verbindung zwischen Welten, die ohne sie gar nicht zusammengehen könnten. Sie bildet Vertrauen, sorgt für Motivation und für einen positiveren Umgang mit Fehlern. Demut ist erlernbar, indem wir uns immer wieder daran erinnern, die Welt durch die Augen von anderen Lebewesen zu betrachten, und freundlich und liebevoll mit ihnen (und mit uns selbst) umzugehen. Sie hilft uns enorm, miteinander auszukommen, weil wir auch mal bereit sind, uns ein bisschen mehr zurückzunehmen.

Demut pusht unsere Beziehungen – nicht nur mit unseren Pferden, sondern auch mit unseren Menschen im Alltag und überall, wo wir hingehen, und schenkt uns so mehr Verbindung mit uns selbst und der Welt, in der wir unterwegs sind.


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2 Antworten zu „Demut im Umgang mit dem Pferd“


  1. […] ich bereits in den Artikeln „Sich durchsetzen am Pferd“ und „Demut“ geschrieben habe, ist das Führen ein ziemlich komplexes […]



  2. […] die Zeit nehmen, die Signale unseres Pferdes wahrzunehmen und darauf zu reagieren, zeigen wir ihm Respekt. Dies schafft eine Atmosphäre des Vertrauens. Ein Pferd, das weiß, dass seine Meinungen und […]


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